Nutzt du lieber die schnelle Autobahn oder bevorzugst du eine Wanderung durch einen unwegsamen Wald?
Kommt wahrscheinlich darauf an, wo du hinwillst. Was dein Ziel ist. Das ist also die
Frage, die du dir stellen kannst. Wo will ich eigentlich hin? Rase ich weiter auf der Autobahn, die sich mein Leben nennt? Oder nehme ich heute - oder wenigstens in dieser einen Situation den
unwegsamen Weg, auf dem ich als erste Fußspuren hinterlasse? Vielleicht als Erste meiner Familie? Will ich diesen Weg bereiten, damit er vielleicht leichter für meine Kinder zu gehen ist?
Eingetrampelt?
Immer wieder tauchen Widerstände und Ängste auf, wenn wir unsere Kinder begleiten. Mache ich das alles richtig? Muss ich vielleicht doch mal auf den Tisch hauen? Das geht jetzt aber echt zu weit!
Das Kind muss auch mal mitmachen. Funktionieren. Und wieso muss ich eigentlich immer alles allein machen?
Diesen Widerständen und Ängsten begegnen und sie überwinden, ist eine unglaubliche Kraftanstrengung. Dafür kannst du dir ruhig mal anerkennend auf die Schulter klopfen. Denn in diesen Momenten
verlässt du die effiziente, unkomplizierte, rasante Autobahn und begibst dich in einen dunklen Wald. Überall liegen Wurzeln, Steine, andere Hindernisse. Du stolperst, siehst nicht, wo du
hinläufst, läufst gegen einen Baum, ein Ast knallt dir ins Gesicht, schon wieder landest du in einer Pfütze. Du bist nass, dreckig, dir ist kalt. Und wofür? Du weißt es nicht. Du kannst ja immer
noch nichts sehen.
Es gibt Tage, an denen schimmert Licht durch die Zweige. Manchmal blendet dich die Sonne und zaubert dir ein Lächeln ins Gesicht. Schenkt dir wieder Kraft. Mut. Zuversicht.
Und du stehst auf und läufst wieder hinein in den dunklen Wald. Mit der Hoffnung im Herzen, dass die Wege für dein Kind besser ausgeleuchtet sein werden.
Und jedes Mal, wenn du dich wieder für das weitergehen entscheidest, verlässt du deine Komfortzone. Deine Zone der Sicherheit, der Verlässlichkeit. Du begibst dich also in die Unsicherheit, in Handlungsalternativen, die du gar nicht kennst. Da ist es nicht verwunderlich, wenn dir manchmal der Mut oder die Kraft dazu fehlen. Wenn du lieber den Weg des geringsten inneren Widerstand gehst - den der eingefahrenen Autobahn. Sie scheint verheißungsvoll. Schnell und unkompliziert erreichbar, nicht viel nachdenken, nur das Gaspedal durchtreten und durch die Situation rasen, damit sie möglichst schnell vorbei ist.
Ein Bild unserer Kindheit. Da kommen unangenehme Gefühle auf? Schnell wegdrücken, denn sie sind unerwünscht: also auf's Gaspedal treten und durchrasen. Dafür sorgen, dass du unangenehmen Situationen möglichst schnell vorbei sind: auf's Gaspedal treten und durchrasen.
Das Problem ist, dass die unangenehmen Situationen mit unserem Kind dann nicht einfach vorbei sind. Unser Kind wird sich wehren. Denn noch kämpft es. Es kämpft dafür, bedingungslos geliebt zu werden. Wir werden mit den Widerständen unseres Kindes konfrontiert. Diese Konfrontation, dieser Kampf, diese Gefühle, die uns im Nachhinein beschleichen, die Wunden, die wir unserem Kind zufügen, sind letztlich nicht minder energieaufwändig und kraftraubend, als sich für den unwegsamen Trampelpfad zu entscheiden.
Und dieser Trampelpfad bleibt nicht für immer unwegsam. Je öfter du ihn gehst, desto leichter wird er für dich verfügbar. Desto leichter wird es für dich, den Weg für dein Kind und auch für dich zu gehen.
Welcher Typ bist du? Typ Autobahn oder Trampelpfad?
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Irmgard (Montag, 31 Januar 2022 22:36)
Wow, einfach gut geschrieben. Danke dir!
Funkenflug (Montag, 07 März 2022 20:33)
Ich danke dir für deine Wertschätzung Irmgard!